Mit Hilfe von Langzeitstudien lassen sich mögliche Prädiktoren im Kleinkindalter für eine spätere Legasthenie finden. Niederländische Wissenschaftler um Titia L. Van Zuijen untersuchten bei 17 Monate alten Kleinkindern, die aus LRS-Risikofamilien stammten, mittels EEG die neurologische Verarbeitung von auditiven Stimuli. Den Kindern wurden über einen Kopfhörer vier kurze Töne präsentiert, wobei der letzte Ton in sehr kurzem Abstand dem dritten Ton folgte. Weiterhin wurde gelegentlich ein weiterer auditiver Reiz (Alternativreiz) präsentiert, wo der Zeitabstand zwischen den beiden mittleren auditiven Reizen deutlich verkürzt war. Erwartet wurde nun, dass sich bei der neurologischen Verarbeitung im EEG bei der Darbietung des veränderten Reizes ebenfalls Veränderungen zeigen. In der LRS-Ätiologie wird eine defizitäre temporale auditive Verarbeitung als mögliche Ursache für die Probleme im Lesen und Schreiben diskutiert. Schwierigkeiten in diesem Bereich führen dabei zu einer fehlerhaften phonologischen Repräsentation von Lauten, die das Lesen lernen erschwert.
Neben der EEG- Untersuchung im Kleinkindalter wurde im Alter von viereinhalb Jahren das Sprachverständnis, zu Beginn der zweiten Klasse die phonologische Bewusstheit und die Benennungsgeschwindigkeit (RAN) von Zahlen überprüft. Am Ende der zweiten Klasse wurde dann noch ein ausführlicher Lesetest durchgeführt. An der Studie nahmen acht Kinder mit LRS-Risiko teil und acht Kinder bildeten die Kontrollgruppe.
In der EEG-Untersuchung zeigten sich bei den Kleinkindern Gruppenunterschiede, die auch statistisch signifikant wurden. Während die Kinder der Kontrollgruppe bei der alternativen Tonfolge auch ein anderes Aktivitätsmuster im Gehirn aufwiesen, zeigten die LRS-Risikokinder keinen Unterschied in ihrer neurologischen Aktivität auf den alternativen Reiz. Dieses Ergebnis interpretieren die Wissenschaftler als eine defizitäre temporale Verarbeitung auditiver Reize. Weiterhin konnte auf Basis der Ergebnisse der EEG-Untersuchung die Lesefertigkeit zum Ende der zweiten Klasse vorhergesagt werden. Hier lag die Korrelation zwischen der temporalen Verarbeitung auditiver Reize und den einzelnen Aufgabenbereichen des Lesetests (einsilbige Wörter, mehrsilbige Wörter, Pseudowörter) zwischen .416 und .523. Aufgrund ihrer Höhe sollen auch noch die Korrelationen zwischen phonologischen Bewusstheit und dem Lesetest von .64 sowie dem schnellen Benennen von Zahlen und dem Lesen in Höhe von .52 genannt werden.
Van Zuijen et al. konnten in ihrer Studie zeigen, dass LRS-Risikokinder sich hinsichtlich ihres EEGs bei der Wahrnehmung von temporal auditiven Reizen unterscheiden und sich auf Basis dieser EEG-Werte Aussagen über die Lesefertigkeit
in der zweiten Klasse treffen lassen.
Van Zuijen, T., Plakas, A., Maassen, B., Been, P., Mauritis, N., Krikhaar, E., van Driel, J. & van der Leij, A. (2012). Temporal auditory processing at 17 months of age is associated with preliterate language comprehension and later word reading fluechncy: an ERP study. Neuroscience Letters, 528, 31-35.
[Dieser Artikel über die Studie von Van Zuijen et al. ist im Journal für Legasthenietherapie 10/2012]